Workshop im Zeichen der Zeit

Die Rettung von Verunfallten aus einer Zwangslage kann zum einen möglichst schnell und zum anderen möglichst schonend erfolgen. Oft lassen sich diese Ziele jedoch nicht gleichermaßen verfolgen. Dann ist zu entscheiden, wieviel Zeit investiert werden kann um schonend vorzugehen oder wie wenig schonend eine Rettung sein muss um einen Patienten in der gebotenen Eile in eine geeignete Klinik zu bringen. Letztlich gilt es also auf der Grundlage des Zustands des Verunfallten und der Situation (z.B. einer Einklemmung) im Spannungsfeld von Geschwindigkeit und Behutsamkeit den für das Überleben und die Gesundheit des Patienten optimalen Rettungsmodus festzulegen.
Die Feuerwehren Rückersdorf und Lauf beschäftigten sich in einem Workshop zur Technischen Hilfeleistung (THL) am 16. September intensiv mit Techniken der schnellen und Techniken der schonenden Rettung. In Kleingruppen waren die Teilnehmer angehalten, in verschiedenen Situationen die passende Taktik gemeinsam festzulegen, dementsprechend vorzugehen und auf Situationsänderungen zu reagieren. Dabei durchliefen die Einsatzkräfte drei Stationen: (1) Die Sofortrettung aus einem PKW, (2) die schonende Rettung von Eingeklemmten nach einem Verkehrsunfall und (3) einen THL-Parcours.


(1) Sofortrettung

Bei der ersten Station galt es, eine nach Verkehrsunfall eingeschlossene Person innerhalb von 120 Sekunden aus einem PKW zu retten. Derart zügiges Vorgehen kann indiziert sein, wenn der Zustand eines Patienten die sofortige Versorgung außerhalb des Fahrzeugs (z.B. Reanimation) oder den unmittelbaren Transport in eine Klinik (z.B aufgrund schwerer Verletzungen) notwendig macht. Auch die äußeren Umstände (z.B. ein Fahrzeugbrand oder Rauch) können eine Sofortrettung anzeigen. Als zielführend erscheint es dann auf eine Bereitstellungsplane zu verzichten und Geräte nur sehr gezielt für den unmittelbaren Einsatz zu entnehmen. Der Erstversuch einer Befreiung kann mit einfachen Mitteln erfolgen während gleichzeitig hydraulisches Rettungsgerät aufgebaut wird, ein Innerer Retter in das Fahrzeug steigt und eine adäquate Trage ausgerichtet und bereitgelegt wird. Im Ergebnis konnten für verschiedene Befreiungswege geeignete Optionen für das Vorgehen identifiziert werden. Diese werden nachstehend skizziert.
Befreiung durch Fahrzeugtüren
Bei einer Kontrolle der Türen kann eingeschätzt werden, welche Tür mit relativ geringem Zeitaufwand zu öffnen ist. Bei der Entscheidung für eine Tür ist zudem zu beachten, dass die Rettung über die Gegenseite in der Regel besser möglich ist als die Rettung über eine andere Sitzreihe. Einfache Geräte wie das Brecheisen oder ein Halligan-Tool können zunächst zur Schaffung von Ansatzpunkten für den Rettungsspreizer und – bis das hydraulische Gerät einsatzbereit ist – für einen anschließenden Öffnungsversuch genutzt werden. Per Rautek-Rettungsgriff und Trageunterstützung durch einen Trupp gelingt ein sehr schnelles Verbringen des Verunfallten auf die bereitstehende Trage.

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Befreiung durch Seitenscheibe
Die Rettung durch eine seitliche Fahrzeugscheibe ist nur möglich, wenn der Verunfallte durch die Fensteröffnung passt und nur sinnvoll, wenn eine Rettung durch die Tür nicht bzw. nicht schnell genug erfolgen kann. Nach Körnung der Scheibe bei Verwendung eines harten Patientenschutzes können Scheibenreste aus der Nut mit dem Halligan-Tool oder einfachem Werkzeug entfernt und Kantenschutz auf die Tür gelegt werden. Bei schweren Patienten erscheint ein Innerer Retter nicht ausreichend. Truppweises Vorgehen im Fahrzeuginneren ist dann angezeigt. Die Rettung kann per Rautek-Rettungsgriff von außen unter Trageunterstützung und ggf. Nutzung einer Bandschlinge oder Rettungsboa erfolgen.

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Rettung durch das Heck
In Abhängigkeit der Bauform wird zur Rettung aus dem Fahrzeugheck der Kofferraumdeckel geöffnet oder die Heckscheibe muss entfernt werden. Wenn ein Wegdrücken des Daches oder ein Einschneiden und Wegrolle („Fischdose“) notwendig ist um den Verunfallten zu befreien, erscheint der Weg durch das Heck für eine Sofortrettung i.d.R. zu zeitaufwändig. Kann die Rückbank nicht flach gestellt werden, dann ist dafür ein Spreizereinsatz zielführend. Bandschlinge bzw. Rettungsboa sind hilfreich um den Verunfallten auf ein Spineboard zu verbringen.

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Rettung durch die Frontscheibe
Ein Innerer Retter kann zunächst den Patientenschutz sicherstellen bevor die Frontscheibe entfernt wird. Dabei hat sich truppweises Vorgehen sich als zielführend erwiesen. Sitzt der zu Rettende auf dem Fahrersitz, dann schafft ein Abtrennen des Lenkrads Platz. Auch der Sitz sollte möglichst weit nach hinten verfahren werden. Kantenschutz sollte vor der Rettung zumindest an der unteren Seite des Schnittfensters angebracht werden. Darauf kann ein Tragetuch gelegt werden unter das ein Spineboard geschoben wird. Der Verunfallte wird dann mit einem Trupp im Fahrzeuginneren und weiteren Trupps außerhalb bäuchlings mit dem Tragetuch auf das Spineboard gezogen. Dabei ist der Kopf zu schützen – nur mit Infektionsschutzhandschuhen. Dem Rettungsdienst kann dabei geholfen werden den Verunfallten mit vielen Händen auf den Rücken zu drehen und auf die Trage zu legen.

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(2) Schonende Rettung

Bei der zweiten Station galt es einen Verunfallten möglichst schonend aus einem Fahrzeug zu befreien. Ein schonendes und oft zeitaufwändiges Vorgehen ist sinnvoll, wenn dies der Zustand des zu Rettenden und die äußeren Umstände zulassen. Vorteilhaft ist insbesondere, dass mögliche Verletzungen durch die Rettung selbst weitgehend ausgeschlossen werden können. Die Teilnehmer des Workshops übten insbesondere die sogenannte Fischdose und die große Seitenöffnung.
Bei der Fischdose erfolgt die Rettung über das Fahrzeugheck, wobei das Dach vom Heck aus an beiden Seiten eingeschnitten und nach vorne aufgerollt wird. Als problematisch bzw. aufwändig stellte sich diese Technik bei einem Fahrzeug mit Schiebedach dar: Noch weit hinter dem Schiebedach selbst sind Steuerungstechnik, Leitungen und Laufschienen verbaut. Diese können mit einer Pendelhubsäge nur schwer durchtrennt werden. Zielführend ist dann der Einsatz der Rettungsschere.
Die große Seitenöffnung – das Entfernen beider Türen und der B-Säule – übten die Teilnehmer an einem relativ neuen Fahrzeug aus chinesischer Produktion. Dabei zeigte sich zum einen, dass das Abreißen der B-Säule an der Unterseite der aufwändigste Teil der Seitenöffnung war: Ein Rettungszylinder musste weit ausgefahren werden, bis sich die Säule vom Schweller löste. Zum anderen zeigte sich, dass der Aufbau der hinteren Sitzreihe des Fahrzeugs als Widerlager völlig ungeeignet war: Die Sitzbank stand auf beinahe losen Streben, die einer horizontalen Krafteinwirkung nichts entgegen zu setzten vermochten. Deshalb kam ein Schwelleraufsatz, der mit einem Spreizer am Schweller auf Höhe der hinteren Fahrzeugtüre eingeklemmt wurde, zum Einsatz.

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(3) THL-Parcours

Bei der dritten Station hatten die Teilnehmer den Auftrag, mehrere Hindernisse zu überwinden und Aufgaben mit Hilfe einfacher Geräte zu erfüllen. Die „Hürden“ waren in einem Parcours, der quer durch ein leer stehendes Gebäude führte, angelegt. Es galt etwa eine Metalltüre mit Sperrwerkzeug zu öffnen, eine Person unter einer Last zu befreien, verschiedene Materialien mit geeigneten Mitteln zu durchtrennen und eine Wand zu durchbrechen. Wie bei allen Stationen war es an den Teilnehmern, gemeinsam Techniken und Taktiken festzulegen und auf eingespielte Situationsänderungen (z.B. Versagen eines Gerätes) zu reagieren. Diese Form der Ausbildung sei als Ergänzung zu einsatzmäßigen Übungen mit der notwendigen hierarchischen Herangehensweise empfohlen. Sie fördert die intensive Auseinandersetzung mit alternativen Vorgehensweisen und schult das Erkennen von Lageänderungen und das Einschätzen des Erfolgs einer Technik.

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Insgesamt zogen die Verantwortlichen ein durchweg positives Fazit. Im Herbst 2018 findet der nächste Workshop statt.


Bericht und Bilder: Michael Lauerer